Sophie fährt in die Berge by Rainer Moritz

Sophie fährt in die Berge by Rainer Moritz

Autor:Rainer Moritz
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 9783492958509
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-09-04T09:11:48+00:00


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War es ein Zeichen von Resignation oder von abgelegter Prüderie, sich nicht mehr nach den Frauentagen in der Sauna zu erkundigen und stattdessen das zu nehmen, was die Öffnungszeiten hergaben? Irgendwann würde es ihr nichts ausmachen, in die gemischte Sauna zu gehen und zwischen fülligen Männern zu sitzen, die so taten, als ginge es ihnen allein um den reinigenden Schwitzeffekt. Dabei lechzten die meisten danach, ungeniert nackte Frauenkörper zu begutachten, vor allem die, die am unschuldigsten taten. Wo gab es das sonst schon? Die Versiertesten besaßen einige Übung darin, sich den sich ausbreitenden Schenkeln und Brüsten nicht plump mit Blicken zu nähern. Nein, wenn sich die Schwitzpforte öffnete und einrastete, wenn eine Frau eintrat, verstanden sie es perfekt, demonstrativ nicht zur Tür zu sehen, nicht zu beobachten, auf welche Stufe sich die Frau setzen oder legen würde, ob sie mit einem Handtuch ihre Geschlechtsteile bedeckte oder Einsichten gewährte. Nein, Gemischte-Sauna-Spezialisten nahmen das Objekt erst nach zwei, drei Minuten in Augenschein, wenn sie ihre Blicke wie zufällig durch den Raum gleiten, sie zuerst nur einen Wimpernschlag auf dem Körper verharren und nach einer Weile zurückkehren ließen, wobei sie das, was sie mit innerer Gier sahen, einer Detailprüfung unterzogen.

Noch zählte Sophie nicht zu den Rentnerinnen, die, ohne sich überflüssige Gedanken zu machen, ihre Bauchfalten und ihre hängenden Brüste zur Schau trugen. Deshalb wusste sie genau, was die harmlosesten Männeraugen verrieten, vor allem wenn es das niederträchtige Schicksal wollte, dass man allein mit einem Mann überschaubarer Attraktivität in die Sauna geriet und dieser ganz nebenbei zu einem Gespräch anhub, darauf hoffend, dass eine sich lebhaft unterhaltende Frau ihre Körperbewegungen nicht mehr genau kontrollierte und sich offener zeigte als eine Frau, die es gar nicht einsah, unbefriedigten saunierenden Männern ein Vergnügen zu gönnen. Deshalb mied Sophie seit Langem gemischte Saunatage und zog es vor, sich mit Freundinnen, mit Angela oder Simone, drei Saunagänge zu genehmigen, meistens am Samstagmorgen, wenn die anderen Frauen mit Einkäufen beschäftigt waren und den Stuttgarter Platz als Anlaufstelle nahmen, um Mann und Kindern wenigstens auf einen Kaffee zu entkommen.

Angela und Simone waren, wie es sich für halbwegs in geordneten privaten Verhältnissen lebende Frauen gehörte, nicht abkömmlich gewesen – wir besuchen die Schwiegereltern, sechs Stunden Autofahrt, zehn Stunden Aufenthalt und sechs Stunden zurück – und äußerten am Telefon unverhohlen Neidgefühle, dass Sophie keine familiären Pflichten zu erfüllen hatte und nach Herzenslust zum Saunieren ging. Sophie entgegnete nichts am Telefon, unsicher, ob ihr Zustand mehr Vorzüge oder Nachteile aufwies. Erst als sie wieder vor dem Hallenbad in der Mecklenburgischen Straße stand und den letzten Streifen Handcreme verrieb, freute sie sich über sich selbst. Sie hatte die Ruhe in der Sauna mit allen Poren genossen – wie schön, dass nicht nur Angela und Simone, sondern viele andere Berliner unterwegs waren, um ihr Feiertagsprogramm abzuspulen. Vier, fünf Frauen, alle ungefähr in ihrem Alter, hatten die Sauna – Lavendelaufguss! – und den mit Palmen geschmückten Ruheraum mit ihr geteilt. Sie hatte nichts zum Lesen mitgenommen, vor sich hin gedöst und in Schleifen, Spiralen und Sprüngen nachgedacht.



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